Preisträgerinnenlesung des Bremer Autor*innenstipendiums 2021 mit Ursel Bäumer & Frauke Schumacher

Dienstag, 08.03.2022
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Preisträgerinnenlesung des Bremer Autor*innenstipendiums 2021 mit Ursel Bäumer & Frauke Schumacher

Preisträgerinnenlesung des Bremer Autor*innenstipendiums 2021 mit Ursel Bäumer & Frauke Schumacher

Zur Förderung des literarischen Nachwuchses sowie professionell arbeitender Autor*innen hat der Senator für Kultur auch im Jahr 2021 zwei dotierte Stipendien an Schriftsteller*innen vergeben, die ihren Wohnsitz in Bremen/Bremerhaven oder dem angrenzenden Umland haben. Wie im Vorjahr sind zwei unterschiedliche Stipendien ausgeschrieben und vergeben worden, deren Dotierung 2020 im Zuge der Bewerbung Bremens um den UNESCO-Titel „City of Literature“ jeweils verdoppelt worden ist.

Mit dem Projektstipendium zu 5.000,- Euro wurde Ursel Bäumer für ihr Romanprojekt „Maman“ ausgezeichnet.  Für das Nachwuchsstipendium zu 4.000,- Euro wurde Frauke  Schumacher für ihr Romanprojekt „Wenn im Krieg ein Sperling singt“ von der Jury ausgewählt.

Die beiden Stipendiatinnen stellen im Rahmen einer gemeinsamen Lesung und im Gespräch ihre ausgezeichneten Projekte erstmals der Öffentlichkeit vor. Die Veranstaltung findet am Dienstag, den 8. März, um 20 Uhr im Kukoon statt. Der Eintritt ist frei, Reservierungen sind nicht möglich.

Moderation: Karen Struve (Universität Bremen & Vorstand Bremer Literaturkontor),
Helge Hommers (freier Autor & Stipendiat 2018) &
Jens Laloire (Geschäftsführer Bremer Literaturkontor)
Begrüßung: Alexandra Tacke (Leiterin des Referats 12 beim Senator für Kultur)

Informationen zu den Autorinnen:
Ursel Bäumer, geboren in Münster, lebt als freie Autorin in Bremen. Sie studierte und arbeitete als Literatur- und Kulturwissenschaftlerin in Münster, Bielefeld und Bremen, initiierte und leitete von 2005-2014 „workshop literatur e.V, einen Verein, der in Kooperation mit vielen Bremer Literaturinstitutionen Literaturworkshops und Lesungen für Bremer Oberstufenschüler*innen organisierte. Sie schreibt Kurzprosa, Erzählungen und Romane und arbeitet gern an gemeinsamen Projekten mit bildenden Künstler*innen, Musiker*innen und Wissenschaftler*innen. 2007 erhielt sie ein Aufenthaltsstipendium in Berlin/Rheinsberg, 2013 in der Cité Internationale des Arts Paris, wo sie in den letzten Jahren unter anderem für das aktuelle Buchprojekt „Maman“ recherchierte.
www.ursel-baeumer.de

Frauke Schumacher, geboren 1984 in Bremen, studierte Germanistik in Bremen und Olomouc. Sie promovierte und lehrte im Bereich der Literatur des Mittelalters. Aktuell ist sie im International Office einer niedersächsischen Universität tätig und befasst sich dort mit internationalem Austausch und interkulturellen Fragestellungen. Sie lebt in Bremen und arbeitet derzeit an ihrem ersten Roman.

 

Hintergrund zum Autor*innenstipendium 2021
Nach der öffentlichen Ausschreibung der Stipendien haben sich insgesamt rund 50 Autor*innen um die beiden Stipendien beworben. Die fünfköpfige Jury war von der hohen Qualität der eingesandten Texte beeindruckt, lobte die Vielfalt, Aktualität und Relevanz der Projekte, musste sich schließlich aber für jeweils eine der Bewerbungen entscheiden.

Begründung der Jury

Projektstipendium für Ursel Bäumers Romanprojekt „Maman“

Eine Künstlerinnenbiographie, die mit großer erzählerischer Kraft das Leben einer Frau entfaltet, die eingeklemmt zwischen Geschlechterrollen, Pflegepflichten und entzogener Vaterliebe und mit gurgelnden Ängsten im Ohr ihren Weg machen muss. Während ihre Protagonistin Teppiche repariert und neu verknüpft, verwebt Ursel Bäumer in ihrem Roman aufs Schönste historische Expertise, Sehnsuchts- und Gefühlswelten und faszinierende Kunstinstallationen.

In ihrem Roman Maman, der einstimmig von der Jury als bestes Projekt bewertet wurde, beschäftigt sich Ursel Bäumer mit dem Leben der bildenden Künstlerin und Bildhauerin Louise Bourgeois (1911 - 2010). Schon das sehr ansprechende Exposé und der anspruchsvolle Stoff haben die Jurymitglieder sehr beeindruckt; darüber hinaus bot dieses Projekt die mit Abstand reifste literarische Leistung aller eingereichten Bewerbungen.

In Bäumers Leseprobe, die ein Prologexzerpt sowie den Anfang der Handlung umfasst, werden die Ursprünge einer lebenslänglichen Angst vor Flüssen von Louise herausgearbeitet. Bereits im Prolog zeigt die Autorin, dass es hier nicht nur um ein Romanprojekt über eine Künstlerin geht, sondern dass sich deren Kunst in den Roman einschreibt: In einer Art Prosagedicht sprechen die Kunstwerke, Skulpturen und Installationen, suchen ihren Platz und ihre Bedeutung.

Die Textproben selbst verdeutlichen die erzählerische Kraft dieses Romanprojekts, das die Wahrnehmungen und Erlebnisse von Louise ins Zentrum rückt: Eindringlich schildert Bäumer die zwiespältige Beziehung der jungen Louise zu ihrem Vater, der zurzeit „unterwegs“ ist, also wahrscheinlich mit einer Geliebten in Paris verweilt. Sein leeres Arbeitszimmer wird gleich zu Beginn als „das Geheimnisvollste, ein verbotener Ort, der mich anzog“ eingeführt. Dieser allererste Satz nimmt die Leser*innen unmittelbar für die seinerzeit zwanzigjährige Ich-Erzählerin Louise ein, die sich nicht nur um ihre im Sterben liegende Mutter und den Haushalt kümmern muss, sondern auch um die Reparaturwerkstatt für Tapisserien der Familienfirma, für die sie sogar seit ihrem zwölften Lebensjahr entscheidende Verantwortung trägt, und die – so zeigen die Auszüge aus den späteren Kapiteln des Romans – ihren Weg gehen muss.

In diesem narrativen Auftakt zeigt sich aus der Sicht der Jury die überzeugende Anlage des Romanprojekts und das beeindruckende, verheißungsvolle erzählerische Können der Autorin: Der Blick in das verlassene Arbeitszimmer des Vaters weckt nicht nur Neugier auf die weiteren Entwicklungen, sondern erschafft eine unmittelbare, schonungslose Nähe zu der Erzählerin, ohne ihre Biographie bloß historisch auszuschlachten, ohne zu voyeuristisch oder übergriffig und damit unplausibel zu werden. Der Text verwebt ein Frauenleben mit seiner Zeit und der Kunst, er ist flüssig, fantasievoll und sehr poetisch geschrieben und wirkt zugleich federleicht. Für die Jury stand außer Frage, dass Ursel Bäumer für dieses Romanprojekt mit dem Stipendium ausgezeichnet werden muss, und gratuliert der Preisträgerin von Herzen.

 

Nachwuchsstipendium für Frauke Schumachers Romanprojekt „Wenn im Krieg ein Sperling singt“

Aus einem der dunkelsten Zeitalter der Menschengeschichte fliegt uns ein kleiner Sperling entgegen und leitet damit einen Antihelden-Epos ein, aus einer Zeit, die durch Glauben und Heldentum bestimmt ist.

Das Romanprojekt „Wenn im Krieg ein Sperling singt“ von Frauke Schumacher ist im Britannien des Jahres 634 angesiedelt. Schumacher erzählt darin von Königreichen, Kriegen, Freundschaft und Glauben – alle Zutaten, die man für einen mitreißenden historischen Roman braucht. Doch Schumachers Anspruch geht weit darüber hinaus, bloß einen reißerischen Historienroman zu schreiben. Sie nimmt ihr historisches Setting ernst und orientiert sich dabei u.a. an einem großen Werk – dem altenglischen Heldenepos „Beowulf“, das in dem Romanprojekt auf originelle Art widergespiegelt werden soll, indem die Kriegstaten und die Gesellschaft aus der Sicht von Antihelden und Frauen geschildert werden, die im Heldenepos nicht zu Wort kommen.

Ein heroisches Ziel, dem die ausgewählte Textstelle erstmal gerecht werden musste. Und das tat sie mit voller Wucht – und zwar im zweiten Anlauf, denn das Romanprojekt war der Jury schon aus dem vorrangegangenen Jahr bekannt. Beim ersten Anlauf kam der Text zwar schon in die engere Auswahl, hatte aber noch nicht die erhoffte Tiefe, sodass die Jury damals noch nicht komplett davon überzeugt war, dass das Niveau über 500 Seiten zu halten sei. In diesem Jahr war es ganz anders. Der erste Satz zog die Jury sofort in das Geschehen dieser dunklen Zeit. Die neu ausgewählte Textprobe entwickelt nicht nur einen starken und klaren Sprachsound, sondern erweckt, mit einer wunderbaren Leichtigkeit, das 7. Jahrhundert in Britannien zum Leben. Durch die detaillierten Beschreibungen in den einzelnen Szenen wird schnell deutlich, hier hat jemand äußerst intensive Recherche über die Geschichte und die Literatur der damaligen Zeit betrieben. Die bildreiche und poetische Sprache des „Beowulfs“ finden sich zudem in Stabreimversen wider, die als Lieder in den Text eingeschoben werden.

Die Geschichte selbst erzählt von der Freundschaft zweier sehr unterschiedlicher Männer, die sich seit Kindheitstagen kennen. Nechtan möchte sich als Kriegsheld beweisen und in den Liedern seines Volkes besungen werden, während Ismær ruhig und besonnen ist, aber dennoch treu an der Seite seines Freundes bleibt. Der Krieg jedoch öffnet beiden die Augen und die Autorin eröffnet neue Perspektiven auf eine vergangene Zeit und berührt zugleich Themen mit aktueller Relevanz.

Frauke Schumacher hat der Jury mit ihrer erneuten Bewerbung bewiesen, dass sie das Niveau sehr wohl halten kann. Daher fiel das Juryurteil zu ihren Gunsten aus. So viel Mut und Können soll gewürdigt und dem Publikum zugänglich gemacht werden. Die Jury gratuliert der Preisträgerin von Herzen.

Zur Jury 2021 gehörten Dr. Alexandra Tacke (Leiterin des Referats 12 & Referentin für Literatur beim Senator für Kultur), Prof. Dr. Karen Struve (Universität Bremen & Vorstand Bremer Literaturkontor), Alexandra Rempe (Geschäftsführerin Buchhandlung Storm), PD Dr. Ian Watson (freier Autor & Vorstand virtuellen Literaturhaus) und Helge Hommers (Journalist & Stipendiat 2018).


Auszüge aus den Manuskripten der zwei Stipendiatinnen

Ursel Bäumer – Auszug aus dem Romanprojekt „Maman“

Von den vielen Räumen in unserem Haus in Antony war mir Papas Arbeitszimmer immer das Geheimnisvollste, ein verbotener Ort, der mich anzog. Einmal den Füllfederhalter auf der Schreibtischablage verrücken, die Ledermappe mit den Rechnungen berühren, einen Kieselstein in die Hand nehmen und prüfen, wie schwer sich die Glücksmomente in seinem Leben anfühlen, denn jeder Stein der Sammlung in der Holzkiste stand für einen Augenblick des Glücks. Wann immer die Tür einen Spalt offen war, habe ich hineingelugt, aber nie gewagt, den Raum zu betreten. Aber jetzt, wo Maman schon so lange oben krank in ihrem Bett liegt und schläft, Papa unterwegs ist und ich dafür sorge, dass die Arbeiterinnen in der Werkstatt ihr Geld bekommen, die Abrechnungen stimmen und Arztrechnungen pünktlich bezahlt werden, sitze ich an seinem Eichensekretär, auf dem mit Vögeln und kunstvollen Blumenmustern bezogenen Sessel, und niemand hindert mich daran, Schubladen aufzuziehen, Papiere zu durchwühlen, eine Zigarrenkiste mit alten Fotos zu öffnen. Papa als kleiner Junge auf einem Schaukelpferd. Derselbe hohe Haaransatz, die gerade schlanke Nase, die dunklen Augenbrauen. Mein Glück, dass ich solche Ähnlichkeit mit ihm habe.

Schau doch Louis, das Baby ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten, wir nennen es Louise.

Ausgerechnet an Weihnachten muss ich auf die Welt kommen. Keine Austern, kein Champagner in Clamart mit den Großeltern, Bruder Désiré, Madeleine und Jaques und Maurice und den anderen, auch dem Doktor habe ich das Fest verdorben.

Ich sehe, wie Maman beschwörend, besänftigend zu Papa hinüberschaut und erleichtert ist, als sich seine Miene bei dem Gedanken, dass ich aussehe wie er, sichtlich aufzuhellen scheint. Kein Junge, also, sagt Papa und zwirbelt verstimmt an seinem Schnurrbart. Wieder kein Junge. Das dritte Mädchen. Noch einmal streicht seine Hand nervös über den Bart. Und dann höre ich, wie er zärtlich Louis, sagt, das i so in die Länge zieht, dass ein s kaum zu hören ist. Louison, Louisette, Lison noch einmal, als probiere er den Klang des Namens immer wieder neu aus, sehe, wie er ein weiteres Scheit Holz auflegt und noch eins, damit die große Wohnung mit vergoldeten Kronleuchtern, Tapisserien, antiken Möbeln und der gediegenen Holzvertäfelung am Boulevard St. Germain warm wird.

 

Frauke Schumacher – Auszug aus dem Romanprojekt „Wenn im Krieg ein Sperling singt“

Mach deinen Zug, Ismær. Mach schon, bring es hinter dich. Nur einen Zug, einen Schritt, gerade voraus, nicht außer der Reihe, niemals zurück. Nur einen Schritt voran. Weiß rückt vor, und du bist einer der ihren: eine Spielfigur, cremebleich, aus dem Knochen eines Pferdes gedrechselt.

Ismær drückte seine Zehen an die Erde, die so viel unnachgiebiger war als die feuchten Auenwiesen Ostangliens und der schwingende Boden der Moore, die den Hof seines Onkels umgaben. Fremd war sie, diese Erde, und sie zeigte sich hart und abweisend. Hier wucherte keine Heide; keine Kiefern beschatteten die grasige Ebene. Eine karge Weite erstreckte sich vor ihm im Sonnenschein.

Ja, die Sonne schien. Es war ein klarer Frühlingstag. Kein Nebel, nicht einmal ein leichter Regen hatte sich bereitgefunden, sich über das Feld zu legen. Sehend, so standen sie einander gegenüber, und Ismær sah. Er sah eine Wand, geformt aus Rundschilden, die ihm als hölzerne Augen des Feindes entgegenstarrten, lidlos und weit. In der Mitte jedes einzelnen Auges – eisern spitz – der Schildbuckel als stechende Pupille, eingefasst von einer ledern bezogenen, grell bemalten Iris. Je Mann ein niemals blinzelnder Schild, und darüber der vorgereckte Speer, der als einzige, starre Wimper die Schärfe des Blicks bezeugte.

Mach deinen Zug, Ismær. Es ist nur ein Spiel.

In mühsam gezähmter Erregung drängten sich hinter ihm die Männer seines Onkels. Einer von ihnen war es denn auch, der ihm seinen Schildbuckel in den Rücken drückte und ihn voran zwang, um zu der ersten Reihe aufzuschließen. Dort, schräg vor Ismær, leuchtete Nechtans rotbrauner Schopf. Gerade aufgerichtet sah der Freund den Feinden entgegen, das Kinn gehoben, sodass die langen Haare aus dem breitwangigen Gesicht fielen. Die Flammen der Signalfeuer, die ihnen vom nahenden Krieg gekündet hatten, sie hatten etwas in ihm erweckt, das immer in ihm geschlummert hatte, und von dem Ismær im Stillen gehofft hatte, es möge auf ewig verborgen bleiben. Nechtan war bereit zum Kampf. Ismær hatte Angst.

 

Allgemeine Informationen zum Autor*innenstipendium
www.literaturkontor-bremen.de/autorinnenstipendium

Liste der bisherigen Preisträger*innen
www.literaturkontor-bremen.de/autorinnenstipendium/preistraegerinnen

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